Vom Grammophon zum Kitsch-Duett: Einblicke in die Kulturgeschichte der Weimarer Republik

Am 28. Februar 2024 herrschte eine besondere Stimmung im Atrium des GyRa: Charleston-Klänge bei lauschiger Beleuchtung entführten das allmählich eintreffende Publikum in die 1920er Jahre. Durch Serien wie Babylon Berlin ist diese Epoche, auch bekannt als die „Goldenen Zwanziger Jahre“, 100 Jahre später wieder sehr präsent. Doch wie golden waren diese Jahre wirklich? Welche Klischees werden in den Medien darüber vermittelt, und was steckt dahinter?

Diesen Fragen ist der Oberstufenkurs Musik seit Beginn des Schuljahrs nachgegangen und hat dazu verschiedene Bereiche des Musiklebens der Weimarer Republik genauer untersucht. Welche Musikgruppen, Sängerinnen und Sänger waren damals besonders erfolgreich und haben die Kulturgeschichte der Zeit geprägt? Welche technischen Neuerungen ermöglichten der Bevölkerung einen breiteren Konsum von Musik? Was für Musik lief eigentlich in den Opernhäusern der Zeit, und warum wurden Aufführungen mit Stinkbomben gestört? Wie eng waren Musik und Politik damals ineinander verwoben?

In insgesamt fünf thematischen Abschnitten präsentierten zehn Referentinnen und Referenten die Ergebnisse ihrer Gruppenarbeiten. Vincent und Magnus setzten als Moderatoren pointiert den inhaltlichen Rahmen. Alle anderen waren hinter den Kulissen aktiv und haben zum Beispiel mit künstlicher Intelligenz Werbeplakate gestaltet oder Bilder für die Präsentationen recherchiert. Sebastian und Wilhelm haben in langen Nachtschichten die gesamte Präsentation formatiert, die Musikbeispiele eingefügt und teils mit Untertiteln versehen, damit das Publikum die oftmals politisch brisanten oder humorvollen Texte mitlesen konnte. Als Technikteam des Abends wurden die beiden von Luk aus der 10c unterstützt.

Die erste Station des Abends führte ins Opernhaus. Im Mittelpunkt standen zwei Opern, die das damalige Publikum polarisierten, Jonny spielt auf von Ernst Krenek und Neues vom Tage von Paul Hindemith. „Opernsängerin in der Badewanne“ titelte der Berliner Lokal-Anzeiger nach der Uraufführung der Oper Neues vom Tage im Juni 1929 – ein Skandal, wie man ihn von dem als „Bürgerschreck“ berüchtigten Komponisten Paul Hindemith (1895-1963) bereits gewohnt war. Dazu hatte sein scharfzüngiger Librettist Marcellus Schiffer (1892-1932) der Sängerin überdies einen Werbetext auf den Leib geschrieben, in welchem sie die Vorzüge der Warmwasserversorgung anpries. Eine weitere Szene, die beim konservativen Opernpublikum großen Anstoß erregte, war das Kitsch-Duett, in dem der Stil des Säulenheiligen Richard Wagner parodiert wurde. Lasse und Philip trugen den wunderbar absurden Text dieses Kitsch-Duetts vor, bevor dieser auch noch einmal als Hörbeispiel erklang. Marcel sorgte für die kulturgeschichtliche Einordnung der als Zeitoper bekannt gewordenen Gattung.

Am Beispiel der 1927 uraufgeführten Erfolgsoper Jonny spielt auf von Ernst Krenek erläuterten Lasse und Torge, wie diese dennoch zur Zielscheibe rechtsradikaler Angriffe werden konnte. 1928 wurden in München und Wien Aufführungen von Nationalsozialisten massiv gestört. Zehn Jahre später, als die Weimarer Republik bereits Geschichte war, sollte das Plakat für die NS-Ausstellung „Entartete Musik“ von 1938 erneut in diffamierender Weise Bezug auf Jonny spielt auf nehmen.

Im nächsten Abschnitt des Abends, überschrieben mit der Titelfolie „Kriegsfolgen und Straßenkämpfe“, verdeutlichte zunächst die Rote Melodie von 1920 die Wunden, die der Krieg geschlagen hatte. Kurt Tucholsky lässt hier eine trauernde Mutter zu Wort kommen, die eindringlich vor weiteren Kriegen warnt. Mit philologischer Genauigkeit erläuterte Anton dann, wie das während des Ersten Weltkriegs entstandene Soldatenlied Der kleine Trompeter zwischen 1925 und 1930 von Kommunisten wie Nationalsozialisten umgedichtet wurde, um damit die jeweils eigenen propagandistischen Zwecke zu erreichen. Mit großer Betroffenheit wurde das Publikum in die Pause entlassen.

Beschwingter ging es zunächst zu Beginn des zweiten Teils zu, in dem Tom und Minh-Khoa die neuen technischen Entwicklungen von Rundfunk und Grammophon vorstellten. Dank der vielen Schellackplatten, auf denen ihre Musik aufgezeichnet wurde, vermittelt die Musik der Comedian Harmonists bis heute ein positives Lebensgefühl voller Humor und Leichtigkeit. Auch die Frauen der Weimarer Republik nutzten ihre neu gewonnenen Freiheiten, zu denen erstmals in der deutschen Geschichte das Wahlrecht gehörte, und zeigten sich selbstbewusst und unabhängig, wie Sarah und Medina erläuterten. So wird von der berühmten Chansonsängerin Claire Waldoff eine junge Frau namens Hannelore besungen, die Bubikopf trägt und in ihrer Freizeit zum Boxen geht.

Abschließend stellte Hendrik mit Friedrich Hollaender einen der bekanntesten Kabarettisten der Weimarer Republik in den Mittelpunkt. 1931 kam in der Revue Spuk in der Villa Stern der Lügenbaron Münchhausen zu Wort, der schonungslos zentrale Missstände seiner Zeit wie die fehlende Unabhängigkeit der Justiz oder die mangelnde Akzeptanz der Demokratie offenlegt. In der letzten Strophe entwirft Hollaender die Utopie eines Landes, das in keinen Krieg mehr ziehen möchte. Anstelle des hier besungenen Friedensschiffs sollten die Dampfer bereits zwei Jahre später in Richtung Exil aufbrechen müssen.

Ebenso wie Friedrich Hollaender (1896-1976) waren auch Ernst Krenek (1900-1991) und drei Mitglieder der Comedian Harmonists (Harry Frommermann, Roman Cycowski und Erich A. Collin) nach 1933 von nationalsozialistischer Verfolgung betroffen. Paul Hindemith verließ etwas später ebenfalls das Land, weil seine Musik unerwünscht war. Ihre Lebenswege führten sie an unterschiedliche Zufluchtsorte, bis sie in den Vereinigten Staaten neue Wirkungsstätten fanden. Mit einem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und alle heutigen Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft verabschiedeten die Moderatoren das Publikum.

So bleibt mir am Schluss nur zu sagen: Lieber Musik-Kurs, vielen Dank für einen ebenso unterhaltsamen wie nachdenklich machenden Abend!

Eva Maschke

Fotos: Antje Kirchbauer und Brigitte Köchlin

 

Plakatgestaltung: Henrik Mattenklott und Jeff Röder