Corpus Delicti

Corpus Delicti, frei nach Juli Zeh – eine beeindruckende Auseinandersetzung mit dem Gesundheitswahn

Ein störungsfreies Leben, frei von Schmerz und Leid,  scheint für die Protagonisten* im 21. Jahrhundert ein erstrebenswertes Ziel, dem bedingungslos nachgeeifert wird. Die Spielerinnen und Spieler des Theaterkurses der S2 unter der Leitung von Antje Kirchbauer zeigten in einem über zweistündigen Spiel  und in einem gut gefüllten Atrium die Facetten einer Gesellschaft, die im Jahr 2057 auf einen Gesundheitswahn setzt.  Dabei wird Gesundheit zu einem normativen Wert, der alle anderen Aspekte des Lebens wie Rausch, Freiheit und Selbstbestimmung verneint, denn „ein Fingerschnipp und man befindet sich außerhalb der Normalität.“

Dass dieses Konzept der überwachenden Gesellschaft den Menschen bis in die intimsten Details verfolgt, zeigt der Abend auf besondere Art und Weise.

Juli Zehs Stück „Corpus Delicti“ basiert auf der Romanvorlage der Autorin und wechselt zwischen erzählenden und dramatischen Szenen, die ineinander verwoben werden. Das Szenario einer Gesundheitsdiktatur wird anhand eines Plots verwirklicht, der eine junge Frau, Mia Holl, in den Mittelpunkt rückt. Diese hat ihren Bruder durch einen Selbstmord verloren und trauert um diesen und gerät dabei in das Visier dieses Überwachungs-staates, der elementare Gefühle nicht zulässt.

Die Bühne wird von den Spielern simultan als Gerichtssaal, private Wohnung und Gefängnis genutzt. So gelingt es sehr schnell, szenische Räume entstehen zu lassen. Unterstützt wird dies auf eindrucksvolle Art und Weise durch filmische Elemente, die Naturräume und Interviewszenen beinhalten.

Die Spieler zeigen eine beeindruckende Bandbreite – von dem schmierigen Journalisten Kramer bis hin zu dem Chor der sensationsheischenden und putzwütigen Hausbewohnerinnen, die allesamt bunte Perücken tragen. Im Mittelpunkt stehen aber die Geschwister Mia und Moritz Holl und deren emotionale Geschwisterbeziehung sowie die juristische Welt, wie sie hier beeindruckend in den Figuren der Richterin, des Staatsanwaltes und des Verteidigers vorgeführt wird.

Anhand der Causa Mia und Moritz Holl wird die zentrale Frage nach dem gelingenden Leben gestellt: Entweder sich dem Druck der Gesellschaft zu ergeben, sich dem Gesundheitskonzept anzupassen, oder ein selbstbestimmtes Leben zu führen, in dem man sich „selbst spüren kann, liebt“ und ab und an eine Zigarette raucht…

Der Applaus am Ende zeigte deutlich, dass die Umsetzung des nachdenklich stimmenden Stückes, dessen intensive  und eindrucksvolle Umsetzung ohne vorschnelle Antworten, durch das Ensemble der Schülerinnen und Schüler gelungen war. Unbedingt anschauen: Santé.

Ein Bericht von Anke Buchholz